Verschwörungstheorien – lustige Geschichten oder unterschätzte Gefahr?
Zum Thema Verschwörungstheorien fällt wohl jedem sofort irgendein Beispiel ein: Die Erde ist flach oder hohl, die USA haben die Mondlandung gefälscht, die Stadt Bielefeld existiert nicht (diese Verschwörungstheorie wurde übrigens als Teil eines Witzes frei erfunden). Doch es sind nicht diese wohl eher harmlosen und amüsanten Verschwörungstheorien, die derzeit immer wieder in den Nachrichten sind, sondern Querdenker, Corona-Leugner und die Q-Anon Bewegung (deren Anhänger glauben Trump bekämpfe im Geheimen eine satanistische, pädophile Elite, die die Welt regiert).
Viele langjährige Verbreiter/-innen von Verschwörungstheorien sehen sich durch die Corona-Pandemie in ihrem Glauben bestätigt und meinen, sie hätten so etwas schon vor Jahren vorausgesehen. Einer von ihnen ist David Icke, der berühmteste Verschwörungstheoretiker Großbritanniens. Seine Theorie vereint fast alle gängigen Verschwörungstheorien in einer: Die Welt wird wahlweise von Echsenmenschen oder Außerirdischen (oder beides in einem) regiert und dabei von unbekannten und bekannten Geheimorganisationen (Illuminati, Freimaurer, …), sowie allen Großkonzernen und Regierungen der Welt unterstützt. Fast alle Verschwörungstheorien lassen sich in diese integrieren, da fast alle von ihnen einen gemeinsamen Kern haben: Die geheime Elite, die die Welt kontrolliert und an allem Schuld ist.
Aber warum glaubt eine kleine Gruppe Menschen an diese Geschichten, trotz der Beweise, die dagegensprechen? Und warum werden es immer mehr?
Verschwörungstheorien und ihre Ursachen werden schon lange erforscht, denn tatsächlich ist das Phänomen nicht neu. Schon im Altertum gab es Verschwörungstheorien. Die wohl bekannteste besagte: Die Juden seien für die Pest verantwortlich. Daher kann die Psychologie inzwischen mehrere Gründe für den irrationalen Glauben an diese Geschichten benennen. Wissenschaftler/-innen bestehen übrigens darauf, dass es sich bei den Verschwörungstheorien nicht um „Theorien“ handelt, sondern um Mythen oder Erzählungen, da wissenschaftliche Theorien untersucht und verworfen werden, wenn es Beweise gibt, welche sie widerlegen. Bei den Verschwörungsmythen ist das nicht der Fall: Gegenargumente sollen durch Behauptungen entkräftigt werden, die ständig wiederholt werden bis die Leute sie glauben. Jene Personen, die widersprechen, sind entweder blind oder Teil der Verschwörung und werden auf verschiedene Arten mundtot gemacht.
Dass Menschen überhaupt an Verschwörungserzählungen glauben hat zwei Hauptgründe: Sie geben ihnen das Gefühl von Kontrolle und das Gefühl besser und schlauer zu sein als alle anderen. Es ist wissenschaftlich belegt, dass ein gefühlter oder realer Kontrollverlust unsere Bereitschaft an Verschwörungsmythen zu glauben erhöht. Menschen wollen nicht glauben, dass schlimme Dinge einfach aus Zufall passieren, sie brauchen einen Schuldigen, den man irgendwie bekämpfen kann. Auf der Suche nach diesem Sündenbock stellen sie sich immer die Frage „cui bono?“ – Wem nützt es? Die Antwort auf diese Frage macht häufig den wahren Kern einer Verschwörungserzählung aus. So macht zum Beispiel die Tatsache, dass Pharmakonzerne mit dem Verkauf von Medikamenten viel Geld verdienen, sie in vielen Verschwörungsmythen zu den Verursachern einiger oder gar aller Krankheiten. Eine Variante dieser Erzählung ist zum Beispiel die Camtrail-Verschwörung, welche besagt, dass die Dunststreifen, die Flugzeuge manchmal hinter sich herziehen, aus giftigen oder mit Krankheitserregern versetzten Gasen bestehen. Solche Feindbilder, die eine klare Unterteilung in Gut und Böse liefern, helfen daher vor allem Menschen, die in einer Krise stecken die Welt zu verstehen und zu ordnen.
Der zweite Grund ist die Selbsterhöhung, welche durch die Verschwörungserzählungen möglich wird: Ihre Anhänger glauben, nur sie würden die Wahrheit kennen, alle anderen seien blind. Sie sehen sich als erleuchtet und meinen, sie befänden sich im Widerstand gegen einen übermächtigen Feind – und im Widerstand ist alles erlaubt. Genau das macht einige dieser Gruppen so gefährlich: Sie glauben, sie kämpfen für Freiheit und eine bessere Zukunft gegen einen übermächtigen Gegner. Das kann zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bei Anti-Corona Demos führen oder sogar zu terroristischen Anschlägen wie dem von Hanau.
Auf die Frage warum die Zahl an Menschen, die den Verschwörungserzählungen glauben schenken, immer größer wird, gibt es eine offensichtliche und eine weniger offensichtliche Antwort. Die Offensichtliche ergibt sich aus den oben genannten Gründen für Verschwörungstheorien: Wenn wir das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren, suchen wir nach einem Sündenbock, der an allem Schuld hat; Zufall wird dabei häufig ausgeschlossen. Unsere aktuelle Situation bedeutet im Grunde einen kollektiven Kontrollverlust. Ein Virus, das sich blitzschnell auf der ganzen Welt ausbreitet, kann niemand kontrollieren. Verschwörungsmythen bieten einen Ausweg aus dieser unübersichtlichen, beängstigenden Situation. Einige Leute denken vielleicht: „Was ich nicht mit eigenen Augen sehen kann, dass gibt es nicht und wenn es das Virus nicht gibt, muss ich auch keine Angst davor haben.“
Die weniger offensichtliche Antwort hat nichts mit Corona zu tun, sondern mit den Fortschritten, die in letzter Zeit beim Thema Algorithmen gemacht werden. Viele Plattformen, egal ob YouTube, Instagram, Facebook, Google oder TikTok haben einen Algorithmus, der darauf ausgelegt ist, die Nutzer möglichst lange an ihre Plattform zu binden, indem man ihnen zeigt, was zu ihren Interessen passt. Die Algorithmen sind dabei so angelegt, dass die Themen immer extremer werden. Wer sich zum Beispiel Videos zum Thema Fahrradfahren anschaut, landet wahrscheinlich irgendwann beim Thema Moto-Cross. Aber wer einmal anfängt sich etwas zum Thema Verschwörungserzählungen anzuschauen, bekommt auch da Schritt-für-Schritt immer extremere Inhalte angezeigt. Auf diese Weise bietet das Internet den Verschwörungsmythen eine nie dagewesene Plattform, um sich auf der ganzen Welt zu verbreiten.
Wer in seinem näheren Umfeld eine Person hat, die zunehmend an Verschwörungsmythen glaubt und dabei vielleicht auch in Kontakt kommt mit gefährlichen Gruppen wie den Reichsbürgern, der Q-Anon Bewegung oder anderen eindeutig rechtsextremistischen Gruppen, kann sich im Internet, vor Ort oder per Telefon bei den entsprechenden Beratungsstellen informieren. Die wichtigsten allgemeinen Tipps, die immer wieder gegeben werden, sind folgende: Man muss sich selbst richtig zu dem Thema informieren bevor man das Gespräch sucht. In einem solchen Gespräch sollten die Gedanken des anderen auf keinen Fall als Unsinn abgetan werden. Außerdem stellen sich die Betroffenen in der Regel taub, wenn man versucht, sie mit rationalen Argumenten umzustimmen. Das Thema sollte daher nicht direkt angesprochen werden, sondern Literatur, Filme oder Videos empfohlen werden, die sich damit auseinandersetzen. Letzten Endes müssen die Betroffenen immer selbst einen Weg raus aus dem Verschwörungsdenken finden. Dabei ist es auch wichtig, den Kontakt zu den Betroffenen nach Möglichkeit nicht abzubrechen, da diese sonst ihre Kontakte in die Verschwörungsszene auf der Suche nach Anschluss weiter intensivieren. Wenn man nicht genau weiß, wie man als Freund oder Familienangehöriger helfen kann, ist es immer ratsam sich an die entsprechenden Beratungsstellen vor Ort zu wenden, welche es in den meisten Bundesländern gibt.